Eben grade fertig geworden mit einer, da dachte ich, die könnt man doch mal zeigen und joa
Nocebo
Nocebo, lat. erste Person Futur von nocere, schaden: Ich werde schaden.
Rasselnd schlägt mein Atmen gegen die Wand, an die ich mich so verzweifelt klammere. Die eine Hand grotesk verzerrt über dem Herzen zusammengekrampft, die andere nach Hilfe tastend an den kühlen Steinen. Immer wieder blitzen Erinnerungen auf, wie helle Lichtstrahlen, für einen Moment, dann grausame Stille und tanzende Flecken vor meinen Augen. Durchs Fenster kann ich schon das schwimmende Blau des Krankenwagens sehen. Es ertränkt die Wände. Die Sirene klingt hohl und schrill, fast als wolle sie mich abhalten ebenfalls zu ersaufen. Aber ich will nicht. Ich will spüren wie das Licht meine Lungen füllt und den Sauerstoff zersetzt. Dann ein letztes Schnappen nach Luft, bis jedes Lungenbläschen schreiend um Hilfe ruft und implodiert.
Was ist mein Leben auch wert, wenn ich sie nicht haben kann? Ich kann es genau hören. Das aufeinander Schlagen ihrer fleischigen Schenkel, während das Bett unter ihnen ächzt. Noch immer stehe ich geistig in diesem Türrahmen und kann mich nicht bewegen, nicht einmal als sie mit aufgerissenen Augen den Mund aufklappt ohne etwas zu sagen. Er ist so überrascht wie ich. Klammert die Decke wie einen Schild an sich. Wahrscheinlich glaubt er, dass ich ihn umbringen möchte. Ohne ein weiteres Wort gehe ich hinaus. Die Blumen in meiner Hand sind farblos und grau, ich schmeiße sie achtlos auf ihren Küchentisch bevor die Tür hinter mir ins Schloss fällt.
Schritte. Sie kommen. Sie kommen um mich zu holen. Ich habe sie gerufen, warum habe ich vergessen. Vielleicht möchte ich es auch nur vergessen. Die Tablettenschachtel liegt leer und anklagend auf dem Nachttisch und ich klammere mich noch immer an die Ziegelwand. Wenn ich bedenke, dass ich nur an diesem Test teilgenommen habe um das Geld für die Blumen zusammenzukriegen wird mir übel.
Abermals zieht sich mein Brustkorb unter Schmerzen zusammen. Röchelnd und hustend presse ich die Luft aus meinen Lungenflügeln. Es klingt wie das verzerrte Bellen eines getretenen Hundes. Wahrscheinlich führt es die Sanitäter direkt zu mir. Noch ein Keuchen. Hier bin ich, ja genau hier, kommt. Tretet die Tür ein, habt Spaß daran wie euch mein Leben entrinnt, es ist mir egal. Leuchtendes Orange. Rettung. Verdammnis zugleich. Ich atme kaum noch. Mein Atem rasselt. Dampft wie eine Lokomotive. Da ist der Bahnhof. Alles aussteigen.
Placebo, lat. Erste Peron Futur von placere, gefallen: ich werde gefallen. Im engeren Sinne ist eine Tablette oder ein anderes medizinisches Präparat gemeint, welches keinen Arzneistoff enthält und per Definition somit auch nicht eine durch einen solchen Stoff verursachte pharmakologische Wirkung haben kann.
„Keine Wirkung!“
Warum? Warum wecken mich diese klanglosen Worte? Was soll das? Langsam blinzle ich gegen das grelle Licht an. Es riecht nach Himmel.
Das ist gelogen. Es stinkt. Nach Desinfektionsmittel und Krankheit. Nur gute Menschen landen im Himmel. Menschen wie ich landen im Krankenhaus. Ich versuche erst gar nicht mehr die Augen zu öffnen. Meine Haut brennt wie unter Fieber.
„Adam hören sie mich?“
Wieder diese nervig schrille Stimme. Fast wie eine Sirene klingt sie in meinenOhren.
„Die Tabletten haben keine Wirkung!“, keift sie nahe meines Ohres, „Keine Wirkung, Adam!“ Erneut zieht sich mein ganzer Körper krampfhaft zusammen. Sterben ist anstrengend und nervenaufreibend. Moment. Die Stimme. Ich kenne sie. Die nette Dame aus der Universität, genau. Bin ich doch schon tot?
Wieder versucht sie zu mir durchzudringen. Ihre Stimme ist wirklich hoch. Fast wie ein Hochhaus. Keine Wirkung? Was redet sie da?
Der Druck auf meiner Brust wird ein wenig schwächer. Durch das Flirren meiner Ohren dringt ein regelmäßiges Piepen. Keine Wirkung… Die Tabletten?
Es fühlt sich an wie Auftauchen. Zuerst ein Schaudern, dann die Wärme wie von Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Prasselnd fallen Blicke auf mich hernieder. Ich bin am Leben.
Zwanzig Studenten. Ein jeder von ihnen erhält zwölf Tabletten, die er täglich vor dem Schlafen einnehmen soll. Es sind Schlaftabletten mit starker Dosis. Der Clou, nur zehn Studenten erhalten die echten Tabletten, der Rest bekommt Präparate ohne jegliche Wirkung. Unter ihnen auch Adam Williams. Unwissend nimmt er am ersten Abend eine der falschen Tabletten und schläft tatsächlich ruhig ein. Gegen Mittag des nächsten Tages erwischt der Sechsundzwanzigjährige seine Freundin bei einem Seitensprung.
Er nimmt die restlichen elf Tabletten auf einmal um sich das Leben zu nehmen. Und, obwohl es sich um nichts weiter als gewöhnlichen Traubenzucker handelt, erleidet der Student heftige Krämpfe und schwebt am Rande des Todes. Erst als er erfährt, dass die Tabletten nicht echt sind, erwacht er, sein Körper ist vollständig erholt.
Ein Nocebo ist analog zum Placebo-Effekt eine negative Reaktion auf ein Präparat ohne eine spezifische Wirkung. Entdeckt wurde der Nocebo-Effekt, als nach Verabreichung wirkstofffreier Präparate, so genannter Placebos, negative, krank machende Auswirkungen auftraten.
Jede Medaille hat zwei Seiten.
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